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Das Exportverbot für Giftmüll ist ein Erfolg, aber es hat Lücken

Von Andreas Bernstorff

Die weltweiten Giftmüllskandale der 1980er und 1990er Jahre sind Geschichte. Die Basler Konvention mit ihrem globalen Exportverbot wirkt. Doch sie hat blinde Flecken: An Asiens Stränden werden ausgediente Schiffe zerlegt, Asbest und Giftfarben werden dabei freigesetzt. Elektronikschrott aus Industrieländern vergiftet die Menschen und die Umwelt in Afrika und Asien.

Khian Sea, Zanoobia, Karin B. – diese Schiffe machten 1988 Schlagzeilen. Die Khian Sea fuhr 27 Monate lang über die Weltmeere, um 14.000 Tonnen Filterstäube aus der Müllverbrennung in Philadelphia loszuwerden. Die Bahamas, die Dominikanische Republik, Guinea-Bissau und Bermuda lehnten ab. Chile mochte keine leeren Minenschächte damit auffüllen, Honduras keine Sümpfe trockenlegen, und Costa Rica wollte das Material nicht in Hafenmauern einbauen. Erst in Haiti nahm ein Hauptmann der Präsidentengarde einen Teil als „Dünger“ am Strand vor der Stadt Gonaives auf. Düngen wollte jedoch niemand damit und so verwehte die giftige Asche zwölf Jahre lang über der Stadt, bis die Reste im Jahr 2000 in die USA heimgeholt wurden.

Müllschiebereien dieser Art wurden in den 1970er Jahren in den Vereinigten Staaten erfunden. Die USA waren damals weltweit Vorreiter im Umweltschutz, nachdem etliche Giftskandale um Deponien und Fabriken die Nation erschüttert hatten. Die Entsorgung einer Tonne Giftmüll kostete plötzlich 400 US-Dollar. Andernorts lag der Preis bei 20 US-Dollar.

Als Umweltschützer in Mitteleuropa gegen industrielle Umweltgifte mobil machten, wurden immer mehr Stoffe zu „Sonderabfall“ erklärt. Nachdem 41 Giftfässer aus der 1976 explodierten Chemiefabrik „Icmesa“ im italienischen Seveso verschwunden waren, brach im Frühjahr 1983 eine fast europaweite Hysterie aus. Dorfkippen, Industriedeponien und Steinbrüche wurden inspiziert, überall vermutete man die Fässer und fand bedenkliche Stoffe. Schließungen, Umlagerungen sowie aufwändige Sanierungsverfahren waren die Folge. Der Bau neuer Deponien stieß auf breiten Widerstand.

1987 deckten die Grünen erstmals eine Lieferung von deutschem Giftmüll in die Türkei auf. Eine Entsorgungsfirma aus dem Schwäbischen hatte Lösungsmittelreste, insgesamt 168 Giftstoffe mit Sägemehl vermischt, in „Ersatzbrennstoffe“ verwandelt und bei einem türkischen Zementwerk abgelegt. Das türkische Umweltministerium schickte die Ladung daraufhin nach Deutschland zurück.

Exportiert wurde fast 20 Jahre lang alles, was schlecht und teuer ist: Lösungsmittel, Altöle, Alt-Pestizide, Farb- und Lackreste, metallurgische Schlacken, Galvanikschlämme, Katalysatoren, Klärschlamm, Asbestabfälle, kontaminierte Eisenbahnschwellen, Altbatterien, Autoschredder, Trafos und Kondensatoren. Die Routen führten zunächst nach Afrika, in den 1980er Jahren auch nach Rumänien, Libanon und Venezuela. Als Polen 1988 seine Grenzen öffnete, kamen erst einmal Altchemikalien, Dioxine und Filterstäube ins Land, 69 Lieferungen in wenigen Monaten, hauptsächlich aus Deutschland. 1990 war Rumänien erreicht, Russland, Ungarn, Albanien, die baltischen Staaten, Bulgarien, die Ukraine, 1991 Argentinien, Paraguay, kleine Karibikstaaten, es folgten Kasachstan, Indien, schließlich China.

Allein die offiziell genehmigten Sondermüll-Exporte aus Westdeutschland, meist in europäische Nachbarländer inklusive der DDR, beliefen sich 1989 auf 520.000 Tonnen, gefolgt von den Niederlanden mit 250.000, den USA mit 141.000, der Schweiz mit 110.000 und Österreich mit 90.000. Dazu kamen weltweite Geschäfte mit einer riesigen Dunkelziffer. Diese Exporte waren weder genehmigt noch illegal, denn ein Exportverbot gab es nicht. Sie liefen unter „Wirtschaftsgut“. Anfang der 1990er Jahre blieben zwischen der Ukraine und Namibia an die 20.000 Tonnen deutscher Sonderabfälle liegen. Die exportierenden Unternehmen sparten dadurch Entsorgungskosten von etwa 20 Millionen Mark.

Am 22. März 1989 wird das globale „Basler Übereinkommen über grenzüberschreitende Bewegungen gefährlicher Abfälle und ihre Entsorgung“ beschlossen. Danach muss der Empfängerstaat nach schriftlicher Information dem Import zustimmen, bevor der Absenderstaat den Export genehmigen darf. Eine Einschränkung des Handels kommt nur in der Präambel vor. Die Industrieländer wehren sich gegen Kontrollmaßnahmen. Die beiden deutschen Staaten sind sich in ihrer Haltung einig: Sie sind durch das größte grenzüberschreitende Abfallgeschäft der Geschichte fest aneinander gebunden.

Die Afrikaner dagegen protestieren in seltener Einmütigkeit. Nachdem fast jedes Land von Giftmüllimporteuren behelligt wurde und die nigerianische Marine Rücktransporte nach Italien erzwungen hat, folgen deutliche Worte. Alle afrikanischen Delegierten – und Greenpeace – fordern die Beendigung des „neuen Müllkolonialismus“ durch ein „Exportverbot für gefährliche Abfälle in Entwicklungsländer“. Sie verlassen unter Protest den Saal, als sich die Mehrheit der Versammlung dagegen stellt.

Und sie fassen deutliche Beschlüsse. Die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) sperrt schon im Juli 1989 den ganzen Kontinent für Müllimporte (Bamako Konvention). Im Dezember trotzen Afrikaner der Europäischen Union (EU) ein Exportverbot ab (Abkommen Lomé IV). Die Müllschieber lassen ihre Afrika-Projekte fahren und wenden sich anderen Kontinenten zu. Greenpeace hatte bereits 1987 eine globale Kampagne beschlossen, die ab 1990 zur Hochform aufläuft und zahlreiche Recherchen, Initiativen, Proteste und Rückholaktionen koordiniert. Nach dem globalen Fehlschlag von Basel wird die Arbeit regionalisiert.

Es finden sich schnell Verbündete: Eine Präsidentenvereinbarung sperrt Zentralamerika (1992), das Waigani-Abkommen (1994) untersagt Exporte in mehrere Südseestaaten aus Australien und Neuseeland, die Barcelona-Konvention sichert den außereuropäischen Mittelmeerraum (1994). Im Jahr 1994 gelten zudem 103 nationale Importverbote. Wirkung zeigt auch die Rückholaktion „Return to Sender“. Mit großem Medienecho wird Giftmüll unter anderem aus Polen, Ägypten, Indonesien und dem Libanon nach Deutschland rückgeführt, aus Estland nach Finnland, aus Brasilien nach Großbritannien, von den Philippinen nach Australien und aus Bangladesch in die USA.

Trotz des Basler Übereinkommens und der erzielten Kampagnen-Erfolge hat die Giftmüllschieberei jedoch bis 1994 zugenommen. Der damalige Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, Mostafa Tolba, plädiert für Exportverbote. In Piriapolis, Uruguay, wird per Resolution entschieden, dass die reichen OECD-Staaten keine gefährlichen Abfälle mehr nach Osteuropa und in die Dritte Welt exportieren dürfen. Klaus Töpfer, Tolbas Nachfolger, legt 1995 nach: Im malaysischen Kuching wird ein förmliches Exportverbot für Giftmüll beschlossen.

Alle OECD-Mitgliedstaaten müssen nun den Export unter Strafe stellen, in Deutschland drohen heute bis zu zehn Jahren Haft für Giftmüll-Ausfuhren. Das Verbot gilt seit Anfang 1998 für alle EU-Staaten und wird in der Regel eingehalten. Selbst die Gegner der Basel-Beschlüsse halten sich weitgehend daran: die USA, Japan, Australien, Neuseeland. Die Schieberszene hat sich verlaufen. Entsorgungskapazitäten gibt es jetzt überreichlich, die Preise für Entsorgung sinken, Deutschland importiert 2006 über drei Millionen Tonnen Müll inklusive Hausmüll.

Dennoch ist die Basler Konvention eine Erfolgsgeschichte ohne Abschluss. Bei den Verhandlungen wurde nämlich die Abwrackung von Hochseeschiffen in Asien ausgespart. Ein anderes Problem geriet erst nach dem Jahr 2000 in den Blick: Der Export von Elektro- und Elektronikschrott. In den Industriestaaten werden nur etwa 20 Prozent der Altgeräte aufgearbeitet. In Deutschland grasen Dutzende von Kleintransportern vor den Sammelstellen und Recyclinghöfen die Zufahrten nach brauchbarem Material ab und bringen es in mittel-osteuropäische Länder. Dort kommen die Geräte, repariert oder neu zusammengesetzt, wieder zum Einsatz. Abfall entsteht dabei kaum.

Gefährliche Routine

Hingegen ist der Export von Elektronikschrott in Entwicklungsländer zur gefährlichen Routine geworden. Die Entsorgung müssten in der EU und in den USA die Herstellerfirmen übernehmen. Sie lassen den Müll aber häufig nach Afrika oder Südostasien verschiffen. Laut der Organisation „Basel Action Network“ kommen jedes Jahr 400.000 alte Rechner allein im nigerianischen Hafen Lagos an. Drei Viertel davon sind nicht mehr zu gebrauchen und werden am Stadtrand auf Halden abgefackelt. Jeder Monitor enthält an die hundert Giftstoffe, die in schwarzen Rauchschwaden aufgehen und über Stadt und Land wehen.

In Indien und China werden giftige Schwermetalle wie Kadmium und Blei, bromierte Flammschutzmittel und PVC in Kleinarbeit freigesetzt. Die Geräte werden mit Bunsenbrennern behandelt, um Gold, Silber und Platin auszuschmelzen. Kabel werden angeschwelt, um das Kupfer freizulegen. Die Arbeiter und Abeiterinnen sind dabei völlig ungeschützt und atmen die Giftschwaden direkt ein. Die Abfälle aus diesem Gewerbe füllen im chinesischen Guiyu ein ganzes Flussbett. Die Gemeindeverwaltung möchte auf umweltschonende Verfahren umstellen – in den nächsten zehn Jahren.

Offiziell ist in China der Import von Elektronikschrott zwar verboten – ebenso wie der Export von ausgedienten Computern aus der Europäischen Union. Als „Handelsware“ deklariert können sie jedoch den Zoll passieren. Die EU-Abfallverordnung für Elektrik- und Elektronik-Altgeräte legt nämlich nicht fest, was Abfall ist, der im Inland recycelt werden muss, und was als gebrauchsfähige Exportware behandelt werden darf. Und sie lässt offen, wer das entscheidet.

Andreas Bernstorff ist Experte für Giftmüll und berät Organisationen in der Kampagnen­arbeit. Er hat zuvor für die Umwelt­organisation Greenpeace gearbeitet.

 

 

Tödliches Recycling: Die Verschrottung von Hochseeschiffen

Knapp 40.000 Hochseeschiffe fahren derzeit über die Ozeane. Im Alter von etwa 30 Jahren werden sie ausgemustert und verschrottet. Jährlich sind das zwischen 250 und 700 Schiffe. Sie bestehen durchschnittlich aus 12.000 Tonnen Stahl. Dazu kommen Farbanstriche mit Schadstoffen wie Blei, Kadmium, Organozinn, Arsen, Zink und Chrom, PCB-haltige Dichtungsmassen und Asbest sowie mehrere tausend Liter Ölreste (Schiffstreibstoffe, Hydraulik- und Schmieröle). In den OECD-Staaten ist die Entsorgung dieser Stoffe streng geregelt und teuer. Auf Bangladesch, Indien und Pakistan trifft das nicht zu: Die gifthaltigen Schiffe werden hier direkt am Strand in Handarbeit zerlegt.

Schiffseigentümer, die pro Tonne Stahl von den Abwrackunternehmen bis zu 500 US-Dollar kassieren, verstoßen damit zwar gegen das Verbot der Basel Konvention, „kontaminierten Metallschrott“ zu exportieren. Doch im strengen Sinn greift die Konvention hier nicht. Sie ist nationalstaatlichen Abfallverordnungen nachgebildet und spricht von „Territorium“ und „Grenze“. Ein Hochseeschiff jedoch besitzt keine Nationalität und kennt auf den Ozeanen keine Grenzen.

An den Abwrackplätzen in Bangladesch und Indien arbeiten etwa 100.000 junge Männer leicht bekleidet ohne Körperschutz. Viele sterben infolge von Explosionen, Bränden oder herab fallenden Teilen. Allein im indischen Alang wird von bis zu 360 Todesfällen jährlich unter diesen Arbeitern berichtet. Die Toten werden, weit entfernt von ihrer Heimat, direkt am Arbeitsplatz verbrannt und bleiben für immer anonym. Die schleichenden Gesundheitsschäden infolge des Einatmens von Rauchgasen brennender Bleifarben oder von Asbeststaub sind den Betroffenen nicht bekannt. 2006 hat die indische Regierung erstmals eingeräumt, dass ein Viertel aller Arbeiter Asbestfasern im Leib hat. Lassen ihre Kräfte nach, kehren sie zu ihren Familien im entfernten Hinterland zurück. Diese Opfer zählt niemand.

Da die Basler Konvention bei der Abwrackung von Hochseeschiffen nicht greift, ist die International Maritime Organisation (IMO) in London für das Thema zuständig. Sie hat Richtlinien für Arbeits- und Umweltschutz festgelegt. Zudem hat die IMO nach dem letzten großen Ölunfall 2002 vor der spanischen Küste, bei dem der Tanker „Prestige“ 64.000 Tonnen Schweröl verlor, auch die Umstellung der Tankerflotte auf sicherere Doppelhüllenschiffe beschleunigt. 700 Einhüllentanker müssen jetzt zusätzlich bis 2010 außer Dienst gestellt werden. Sie werden am Strand von Bangladesch, Indien oder Pakistan enden. Ihre gesamte Restölmenge übersteigt das Öl aus der „Prestige“ um ein Vielfaches. Die Verschrottung wird weitere hunderte von Leben fordern. Denn verbindlich sind die Richtlinien der IMO nicht.    

Andreas Bernstorff

welt-sichten 4-2008

 

 

 

erschienen in Ausgabe 4 / 2008: Müllprobleme
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